Die Nacht der schönen Frauen                                                Leseprobe

 

 

 

                                              

 

 

 

 

As time goes by 

Ingrid Bergman ... war's nicht. Die war zu freundlich, zu rein, zu brav. Kein Vorbild für einen Teenager. Ich war auf der Suche nach der Frau, die ich einmal werden wollte. 

Nur nicht wie Mama wollte ich werden, mit ihrer Sauerkrause. Um Himmels willen nicht wie Mama, die einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten, für ein neues, langes Lockenjahr 

ihren Kopf in endlosen Qualen unter die heiße Dauerwellhaube stecken musste. Mama, die ständig nach Kernseife roch, und deren abgearbeitete Fingernägel 

noch nie im Leben auch nur der Hauch eines schimmernden Nagellackes geziert hatte. Nein, niemals wollte ich wie Mama werden.

Es waren Rita Hayworth und Scarlet O' Hara, die mich prägten, alle Wünsche mobilisierten, eine schöne Frau zu werden. Diese leichte, rote Lockenpracht von Rita, 

der Duft der sie umgab, den ich bis in meine dritte Kinoreihe riechen konnte. Ihr großer glänzender, blutroter Mund, den keine Frau in meiner kleinen Stadt vorzeigen konnte. 

Die schmale Taille und der Superbusen. Solche Brüste waren ein Traum, damals. Die Schönheitschirurgen lebten in Hollywood, nur für wenige erreichbar. An Scarlet gefielen mir andere Dinge. 

Sie war aufmüpfig, fiel aus allen Rahmen, schmachtete, kokettierte. Sie log und war berechnend. Nie mangelte es ihr an der zündenden Idee, alles wieder zum Besten zu wenden 

Und das grüne Samtkleid aus den alten Vorhängen, das Scarlet trug, war das Ziel meiner Wünsche, ist es vielleicht noch heute. Eine Mischung aus Rita und Scarlet wollte ich sein. 

Ich übte Ritas Lächeln vor dem blinden Spiegel im Flur. Übte ihren Gang, warf die Hüften von einer Seite auf die andere. Stöckelte mit den spitzesten Schuhen, 

auf den höchsten Absätzen über das Kopfsteinpflaster am Marktplatz. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Männerblicke folgten mir. Und nicht nur Blicke. 

Schnell lernte ich, dass ein Stöckelschuh die unterschiedlichsten Zwecke erfüllen konnte. Hieb- und stichfest, das hatte ich mir von Scarlet abgeguckt. Wolfgang musste sogar zum Arzt. 

Als er mir in den Ausschnitt grabschte, war der Schuh ganz plötzlich in meiner Hand und an seiner Stirn ein glatter blutender Strich. Wolfgang gefiel mir schon, 

aber ... In meinem Ausschnitt waren so einige Dinge, die nur mich etwas angingen. Die Tempotaschentücher zum Beispiel, die ich mir von meinem Taschengeld gekauft hatte. 

Sie formten meinen Busen so, wie ich ihn haben wollte.

Ja, ich tat in meinem Leben so einiges, um eine schöne Frau zu werden. Ich zupfte alle Härchen aus den Brauen und malte schwarze Balken drauf. Den Eyeliner nutzte ich als Zauberstab: 

Kulleraugen rund und süß. Mandelaugen vom Südseeparadies. Penatencreme färbte meine Rosenlippen bleich. Das sah echt geil aus. Obwohl das niemand so nannte. Echt geil? 

Heute, viele Jahre später, ein müdes Lächeln meiner Tochter für das Herausputzen ihrer Mutter. Sie trägt ihr Haar mal rot, mal grün und manchmal auch kariert. 

Sie kokettiert mit einer Glatze. Sie lackt die Nägel schwarz und schneidet Löcher in Klamotten.

"Dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ...", flüsterte er mir ins Ohr und streichelte meine Brüste. Ich lag in seinen Armen und träumte ..., war Rita, 

öffnete meine großen, feuerroten Lippen und sah im tief in die Augen. Ich war Scarlet, senkte meine langen, schwarz geschwungenen Wimpern nicht ganz, als sein herrischer Mund mich küsste. 

Ach! Der Beginn dieser wunderbaren Freundschaft endete abrupt: Ich wurde Mutter, Ehefrau und Hausfrau. Jetzt gab ich mein Geld für Ata und Vim, für Alete und Schmelzflocken aus. 

Meine Wangen rundeten sich, wie der Busen. Der wuchs und wuchs, hörte einfach nicht mehr auf zu wachsen. Meine Hüften wurden voll und voller. Jedes meiner Kinder fand einen bequemen Platz darauf. 

Sah ich, was selten geschah, in den Spiegel, lächelte mich ein zufriedenes Mondgesicht an. Rita und Scarlet hatte ich aus den Augen verloren.

Irgendwann dann ... die Zeiten der Befreiung! Meine Hüften gehörten wieder mir. Endlich! Mein Busen war nicht mehr wichtig. Wozu Dessous und Stöckel, Wimperntusche und Lippenstifte. 

Alice hatte nichts von diesen Dingen, sie hatte nur recht. Recht mit jedem Wort, das sie sagte. Ich sagte es meinem Mann, der nichts verstand. Nein, ich war keine unverstandene Frau. 

Ich doch nicht! Ich war eine Frau mitten im Leben und ... Ich hatte eine neue Farbe entdeckt: Lila! Lila Hosen, lila Blusen, lila Latschen.

Früher oder später, es musste so sein, stellte ich fest: Lila steht mir nicht. Jeder neue Morgen zeigte mir neue lila Äderchen. Sie zierten erst Nase und Wangen, dehnten sich aus, 

erreichten schließlich die Beine. Nein, nie wieder lila, dachte ich. Erste Fältchen umzingelten meine Strahleaugen, wurden Falten. Furchen durchzogen mein Gesicht, die Brust, den Bauch. 

Zum Glück kann frau so allerlei dagegen tun. An jeder Litfaßsäule, an jedem Kiosk, im Werbefernsehen bekam ich Nachhilfe:

Strahlesin für funkelnde Augen!

Imhandumdrehnglattin für jugendliches Aussehen!

Elastoprestolit mit idealem Ladyspachtel gegen die unschöne Orangenhaut!

Ich kaufte und schmierte, massierte, tröpfelte. Ich spachtelte die Dellen zu. Suchte jeden neuen Morgen den Erfolg, den mir auch meine neue Brille nicht zeigen konnte. 

An einem solchen Morgen sah ich Alice wieder. Ich traute meinen Augen kaum, war fassungslos: Alice lachte mit knallrotem Mund von einem Titelblatt. 

Auf den Augenlidern ein Schimmer Blau und ein Hauch Rouge auf den Wangen. Jetzt konnte mich nichts mehr halten.

Endlich! Mit zittrigen Fingern öffnete ich den dezenten Briefumschlag.

"... Streifen Sie Ihre alte unschöne Haut einfach ab ..."

Schönheitschirurgie! Micro-Chirurgie, Laserpeeling, neue Nähmaterialien und innovative Instrumente!

Hängebäckchen, Tränensäcke - muss nicht sein!

Lippenrotverbreiterungen - dass es das gibt!

Brust größer oder kleiner, Bauch gestrafft, Fett am Körper abgesaugt. Probleme? - Kaum.

"... Bei der Stirnstraffung wird die Haut und auch die Knochenhaut bis zur Augenhöhle abgelöst. Nach 10 Tagen klingt die Schwellung und Hämatomverfärbung ab ..."

Das waren die Nuancen, die mein Leben verändern sollten. Mir wurde schwummerig. Ich würde eine völlig neue Frau werden! Schön! In meinem Kopf tuckerte die Rechenmaschine.

Ich multiplizierte und addierte. Ja, das müsste zu finanzieren sein. Mir wurde schwarz vor Augen. Zittrig lehnte ich mich an die Wand, atmete schwer - Ich musste mich entscheiden!

Rita Hayworth oder Scarlet O' Hara ?

 

 

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Letzte Änderung: 06.09.09 14:21 webmaster@iasevoli.de

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